Vorträge
Cannabisprävention in Schulen, 07. November 2024, Berlin
Hier finden Sie alle Vorträge der Fachtagung, mit Videoaufzeichnungen, Präsentationsfolien und Zusammenfassungen.
Zusammenfassung
Die steigende Relevanz schulischer Cannabisprävention wird durch aktuelle Prävalenzzahlen unterstrichen: Bei den 16-17-Jährigen hat bereits jeder Fünfte Cannabis probiert, bei den 18-19-Jährigen sogar jeder Dritte. Das durchschnittliche Einstiegsalter liegt bei 14,6 Jahren. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland im oberen Mittelfeld.
Die Forschung zeigt differenzierte Wirksamkeit je nach Altersstufe und Präventionsansatz:
- Universelle Prävention wirkt besonders in den unteren Klassenstufen (1.-7. Klasse). Wie Dr. Gomes de Matos betonte: „Lebenskompetenzprogramme mit Selbstkontrolltrainings haben sich als besonders effektiv erwiesen. Ab der 6. Klasse kommen auch soziale Kompetenztrainings und Entscheidungskompetenz dazu.“
- Selektive Prävention hingegen zeigt bessere Effekte in höheren Klassenstufen (ab Klasse 10) durch Stärkung der Selbstregulation und motivierende Kurzinterventionen.
Ein wichtiger Praxishinweis aus der Diskussion: „Risikoaufklärung als alleinstehender Ansatz zeigte keine präventiven Effekte“, so die Referentin. „Einfach nur zu wissen, dass wir etwas nicht tun sollten und warum, bringt uns noch nicht dazu, das wirklich nicht zu tun.“
Die Bedeutung struktureller Maßnahmen wurde in der Diskussion besonders hervorgehoben. Eine teilnehmende Person aus der Schulpraxis fragte nach der Rolle von Schulrichtlinien. Dr. Gomes de Matos betonte deren Wichtigkeit: „Die Frage ist nicht ob Cannabis verboten ist, sondern wie geht man damit um wenn es doch passiert? Gibt es dafür klare Regeln?“
Besonders interessant war der metaphorische Vergleich mit einem Mosaik: „Mit einem schulischen Programm können wir vielleicht zwei oder drei Steine einsetzen. Aber damit dieses Mosaik wachsen kann, müssen Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Richtungen mit diesen Botschaften erreicht werden.“
In der Abschlussdiskussion wurde deutlich: Die Werkzeuge für effektive Prävention sind vorhanden, nun braucht es vor allem Strategien zur flächendeckenden Umsetzung und entsprechende Priorisierung. wie aus der Elternvertretung angemerkt wurde: „Die Stimme der Eltern muss dabei noch stärker einbezogen werden.“
Künftige Forschung wird besonders die Wirksamkeit unter veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen untersuchen müssen. Hierzu läuft aktuell eine Meta-Analyse zu Cannabisprävention im dekriminalisierten Umfeld.
Zusammenfassung
Der Landespräventionsrat Niedersachsen hat mit der „Grünen Liste Prävention“ eine Art „Stiftung Warentest für Präventionsprogramme“ entwickelt, die evidenzbasierte Programme transparent bewertet und kategorisiert. In seinem Vortrag stellte Frederick Groeger-Roth die Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten dieses Instruments speziell für die schulische Cannabisprävention vor.
„Wir müssen eine Diskussion darüber führen, wie wir den Erziehungsauftrag und die Entwicklung von Schule so gestalten können, dass es auch in dem Bereich Cannabisprävention wirkt“, betonte Groeger-Roth. Dabei warnte er vor isolierten Einzelmaßnahmen: „Nachhaltig kann Suchtprävention in Schule nicht als x-te Zusatzaufgabe verankert werden, sondern nur als Teil von schulischer Organisationsentwicklung.“
Die Grüne Liste unterscheidet drei Evidenzstufen:
- Stufe 1: Effektivität theoretisch gut begründet
- Stufe 2: Effektivität wahrscheinlich
- Stufe 3: Effektivität nachgewiesen
Für die Cannabisprävention identifizierte die Liste bisher zwei besonders wirksame Programme:
- REBOUND (Stufe 2): Universelles Lebenskompetenz- und Suchtpräventionsprogramm für 14-25-Jährige
- UNPLUGGED (Stufe 3): Universelles Suchtpräventionsprogramm für 12-14-Jährige
„Die Programme sind da, das ist nicht unser Problem“, stellte Groeger-Roth klar. „Unser Hauptproblem ist, wie bekommen wir das hin und wie kriegen wir das diskutiert.“ Wichtig sei vor allem die Berücksichtigung der spezifischen Schulbedingungen: „Jede Schule hat unterschiedliche Ausgangs- und Rahmenbedingungen – bei Normen und Wertvorstellungen, Risiken und Schutzfaktoren sowie verfügbaren Ressourcen.“
Ein wichtiger Aspekt sei auch die Vernetzung: „Umso mehr Sie eingebettet sind in den kommunalen Kontext oder in einem Kontext mit anderen Schulen, umso stabiler ist auch die Umsetzung von solchen Programmen“, erklärte Groeger-Roth. Die Grüne Liste bietet dafür eine Online-Datenbank mit bedarfsorientierten Suchkriterien, die Schulen bei der Auswahl passender Programme unterstützt.
Die zentrale Botschaft des Vortrags: Wirksame Präventionsangebote sind verfügbar, müssen aber in ein nachhaltiges Gesamtkonzept der Schulentwicklung eingebettet werden. Die Grüne Liste bietet dafür eine wissenschaftlich fundierte Orientierungshilfe.
Zusammenfassung
Auf dem Fachtag zur Cannabisprävention in Schulen am 7. November 2024 in Berlin präsentierten Dr. Johannes Nießen und Stephanie Eckhardt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) die vielfältigen Präventionsangebote des Bundes.
„Die Lebenszeit-Prävalenz von Jugendlichen liegt bei etwa 8 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss: 92 Prozent der 12- bis 17-Jährigen haben noch nie Cannabis konsumiert“, berichtete Dr. Nießen zu Beginn. Allerdings konsumieren bei den 18-25-Jährigen inzwischen 8 Prozent regelmäßig Cannabis. Mit der Teillegalisierung durch das Cannabisgesetz stehen Schulen vor neuen Herausforderungen.
Digitale Angebote als zentrale Säule
Die BZgA setzt stark auf digitale Präventionsangebote. „Wir möchten gerne in dem Setting, wo sich Jugendliche aufhalten – in der Regel am Handy – qualitativ hochwertige, faktenbasierte Informationen mit in die Timeline reingeben“, erläuterte Eckhardt. Dafür nutzt die BZgA drei zentrale Portale:
- www.infos-cannabis.de als Wegweiser-Website
- www.cannabispraevention.de für Jugendliche ohne Konsumerfahrung
- www.drugcom.de für (drogenaffine) junge Erwachsene
„Drugcom.de hat jährliche Aufrufzahlen von 5,7 Millionen. Das ist ganz schön viel“, betonte Eckhardt. Die Plattform bietet neben Informationen auch einen Selbsttest „Cannabis Check“ und das Ausstiegsprogramm „Quit the Shit“.
Praxisnahe Tools für Schulen
Ein Herzstück der schulischen Prävention ist der „Grüne Koffer“ – ein evaluiertes Programm mit 9 interaktiven Methoden für die Klassen 8-10. „Alle Angebote sind kostenfrei im BZGA-Shop verfügbar“, unterstrich Eckhardt. „Aber uns ist bewusst, dass keine Materialien allein Wunder bewirken können. Alles muss in Form eines schulischen Gesamtkonzepts betrachtet werden.“
Ausblick auf 2025
Mit der geplanten Integration in das neue Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit sieht die BZgA neue Chancen: „Wir sind sehr froh und dankbar und sehen große Chancen für die Suchtprävention“, so Eckhardt. Geplant sind der Ausbau der Weiterbildungsangebote, die Verstetigung bewährter Programme und neue Angebote für Risikozielgruppen wie Schwangere und Kinder aus suchtbelasteten Familien.
„Die Cannabisprävention ist und bleibt eine Daueraufgabe für uns“, fasste Dr. Nießen zusammen. „Wir müssen das Thema genau wie Alkohol- und Tabakprävention als festen Bestandteil in der Suchtprävention einbetten.“
Die BZgA stellt damit ein umfassendes, evidenzbasiertes und zeitgemäßes Präventionsangebot zur Verfügung, das Schulen in ihrer wichtigen Aufgabe unterstützt.
Zusammenfassung
Das Panel brachte vier Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen zusammen, um Herausforderungen und Lösungsansätze für eine effektive schulische Cannabisprävention zu diskutieren:
- Dr. Gregor Kuhn (Landeskoordinator für Sucht- und Gewaltprävention, Hessisches Kultusministerium)
- Mario Jansen (Präventionsberater, Gemeindeunfallversicherungsverband Hannover)
- Theresa Louis (Verband der privaten Krankenversicherung)
- Dr. Anke Siebeneich (GKV Spitzenverband)
Zentrale Diskussionspunkte
Strukturelle Herausforderungen
- Schulen stehen vor vielfältigen Aufgaben in der Prävention (Sucht, Gewalt, Medien etc.) bei gleichzeitigem Lehrkräftemangel
- Komplexe Zuständigkeiten und Unterstützungsstrukturen erschweren den Überblick für Schulen
- Unterschiedliche Regelungen und Strukturen in den Bundesländern
- Stigmatisierung des Themas verhindert oft offenen Umgang
Lösungsansätze
- Systemischer Ansatz:
- Prävention als Querschnittsaufgabe im Schulalltag verankern
- Integration in regulären Unterricht statt isolierter Programme
- Entwicklung schulischer Gesamtkonzepte
- Vernetzung und Kooperation:
- Stärkere Zusammenarbeit zwischen Schule, Kommune und externen Partnern
- Aufbau kommunaler Präventionsketten (von Kita bis Schule)
- Einbindung von Fachberatungsstellen und Unfallversicherungsträgern
- Qualitätssicherung:
- Entwicklung von Qualitätsstandards für schulische Präventionskonzepte
- Evidenzbasierte Programme und Evaluation
- Orientierung an erfolgreichen Beispielen (Best Practice)
- Unterstützungsstrukturen:
- Neutrale Beratung für Schulen bei Programm- und Konzeptentwicklung
- Bessere Ressourcenausstattung für Präventionsarbeit
- Qualifizierung von Lehrkräften und Schulleitungen
Perspektive der Eltern
Aus dem Publikum wurde besonders die Notwendigkeit betont:
- Präventionsangebote transparent zu machen (z.B. auf Schulwebsites)
- Mehrsprachige Informationen bereitzustellen
- Stigmatisierung des Themas zu überwinden
- Eltern aktiv einzubinden
Fazit
Die Diskussion zeigte: Es existieren bereits vielfältige Unterstützungsangebote und Expertise für schulische Suchtprävention. Die zentrale Herausforderung liegt in der systematischen Implementierung und Koordination dieser Angebote. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Entwicklung ganzheitlicher Präventionskonzepte, die von allen Beteiligten getragen werden und im Schulalltag fest verankert sind. Dabei gilt es, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern vorhandene Strukturen und Expertise besser zu nutzen und zu vernetzen.
Besonders betont wurde die Notwendigkeit des „Health in all Policies“-Ansatzes: Gesundheitsförderung und Prävention müssen ressortübergreifend gedacht und umgesetzt werden. Nur wenn Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik zusammenwirken, können nachhaltige Präventionsstrukturen entstehen, die alle Heranwachsenden erreichen.
Von der Theorie zur Praxis: Das World Café als Synthese
Die Fachtagung verknüpfte am Vormittag theoretische Grundlagen mit praktischen Umsetzungsstrategien. Dr. Elena Gomes de Matos präsentierte aktuelle Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit schulischer Präventionsmaßnahmen und unterstrich dabei die besondere Bedeutung der Lebenskompetenzförderung gegenüber reiner Wissensvermittlung. Die unterschiedlichen Effektstärken in verschiedenen Altersstufen – universelle Prävention wirkt besonders in den Klassen 1-7, selektive Ansätze eher in höheren Klassenstufen – verdeutlichen die Notwendigkeit altersgerechter Konzepte.
Frederick Groeger-Roth stellte mit der „Grünen Liste Prävention“ ein wichtiges Orientierungsinstrument vor, das evidenzbasierte Programme systematisch bewertet und einordnet. Programme wie REBOUND und Unplugged demonstrieren dabei, dass wirksame Prävention möglich ist, wenn sie systematisch implementiert wird. Die Präsentation der BZgA durch Stephanie Eckhardt zeigte die breite Palette verfügbarer Unterstützungsangebote auf Bundesebene. Beispielsweise den „Grünen Koffer“, der ebenfalls in der „Grünen Liste Prävention“ empfohlen wird.
Das anschließende World Café bot den rund 130 Teilnehmenden die Möglichkeit, diese theoretischen und strukturellen Inputs mit ihrer Praxiserfahrung zu verbinden. In vier thematischen Gruppen wurden zentrale Herausforderungen diskutiert:
Implementierung evidenzbasierter Programme:
- Die Kenntnisse über wirksame Programme sind vorhanden
- Optimierungsbedarf bei der konkreten Umsetzung
- Herausforderungen:
- Strukturelle Verankerung im Schulalltag
- Nachhaltige Finanzierung
Nutzung von Unterstützungssystemen:
- Entwicklung von Strategien zur besseren Vernetzung
- Koordination vorhandener Angebote
- Wichtige Schritte:
- Schaffung zentraler Anlaufstellen
- Vereinfachung von Kommunikationswegen
Chancengleiche Prävention:
- Zugänglichkeit für alle Zielgruppen
- Abbau sprachlicher und kultureller Barrieren
- Verhinderung von Stigmatisierung
Strukturelle Veränderungen:
- Integration der Prävention als fester Bestandteil des Bildungssystems
- Notwendige Ressourcen:
- Personelle Ausstattung
- Zeitliche Kapazitäten
- Integration in Ausbildung und Schulentwicklung
Die Synthese aus theoretischen Inputs und praktischem Erfahrungsaustausch machte deutlich: Die Werkzeuge für wirksame Cannabisprävention an Schulen sind vorhanden. Der Fokus muss nun auf der systematischen Implementation und strukturellen Verankerung liegen. Dies erfordert das Zusammenspiel aller Akteure – von der Bildungspolitik über Schulträger und Lehrkräfte bis zu externen Präventionsfachkräften.
Die mit Inkrafttreten des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis gestiegene Aufmerksamkeit für Suchtprävention gibt Anlass, bestehende Präventionskonzepte zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Dabei sollten die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirksamkeit verschiedener Ansätze ebenso berücksichtigt werden wie die praktischen Erfahrungen aus der Präventionsarbeit. Das World Café hat gezeigt, dass die Fachkräfte vor Ort über das notwendige Wissen und Engagement verfügen – nun gilt es, die strukturellen Voraussetzungen für eine flächendeckende Implementation zu schaffen.